... „Siehst gut aus!“, grinste Raphael, schlug die Tür zu und
bewunderte die Zöpfe, das kleine Kopftuch, den Sonnenhut darüber,
T-Shirt, die ausgebeulte Hose. „Frech! Süß!“
„Fertig? Kanns losgehen?“
„Jo!“
Anna wendete den widerspenstigen
alten Engländer ohne Servolenkung mit ordentlich Kraftaufwand,
jaulte auf die Hauptstraße, über die Brücke am Kanal, ein Stück weiter
an Feldern vorbei, ein Stückchen geradeaus und hielt an den
Memmnonkolossen. Heerscharen von Touristen. Vorsichtig fädelte sie sich
durch die Busse und die Leute auf den kleinen Parkplatz.
„Der stammt noch aus den Siebzigern, was? Bist ganz schön mutig,
das Ding zu fahren“, lästerte er gutmütig über den klappernden Defender.
„Ne Tour zu den Sehenswürdigkeiten! Ich hab’s! Reiseleiterin?“
„Nöp!“, schmunzelte sie, hoppelte mit dem Wagen weiter, über die
Parkplatzbegrenzung hinaus, an den Statuen und links an dem mit weißen
Planen verhängten Bauzaun vorbei. „Und noch ein Wort über die
komfortable, exquisite Beförderung und du darfst zu Fuß gehen!
Aussteigen, wir sind da!“
„Hier kannst du doch nicht parken!“
„Da stehen noch mehr!“
„Trotzdem.“ Er wollte nach vorne zu den Statuen laufen, sie
hielt ihn am Hemd fest, öffnete die Hecktür.
„Falsche Richtung. Da geht’s lang! Nimm mal die Pakete mit dem
Mineralwasser und die Thermoskanne, ich nehm die Kühlbox.“
„Da steht ein Aufpasser! Komm, Mädel. Das ist kein Platz zum
Picknicken. Hier haben wir nix verloren. Park das Auto um. Ist besser
so.“
Der Aufpasser grüßte.
„Salam!“, grüßte Anna freundlich zurück, zog aus ihrem
Ausschnitt eine Plastikkarte an einem gelben Band und er öffnete das Tor
in der weißen Plane. Raphael machte Augen wie ein Kind an Weihnachten,
schaute sie baff nochmal von oben bis unten an, blieb mit seinem Blick
auf ihren klobigen Stiefeln kleben.
Sag bloß nix falsches, Kleiner!
„Geführte Wanderungen?“
„Nöp! Aber es ist Zeit für ein zweites Frühstück.“
„Catering?“
„Nö!“
„Fahrdienst?“
„Archäologin!“
„Was?“
„Simsalabim, Sesam öffne dich! Hinein mit dir. Und sei so nett,
bleib bei dem Märchen vom guten Bekannten. Das sind alles
Arbeitskollegen.“
Raphael schaute sich verblüfft um. Baumaschinen, schweres Gerät,
brummende Dieselaggregate, Pumpen, Rohre, Luftkissen, Seilwinden,
sorgfältig abgegrenzte Areale, Gerüste. Unzählige Bruchstücke von
gewaltigen Statuen, sorgfältig auf Paletten gelagert. Deck, Staub, Lärm,
feinsäuberlich ausgehobene Gräben unter schattenspendenden Planen,
Sonnenschirme, unter Zelten große Tische voll mit ausgegrabenen
Fragmenten, um die hundert Leute, die geschäftig in der Erde gruben.
Andere hievten mit schierer Muskelkraft und lauten Gesängen mit Hilfe
archaisch anmutender Gerüste, Holzstämmen und Seilen - wie einst im
alten Ägypten – vorsichtig tonnenschwere Bruchstücke großer Statuen aus
dem Boden. Ein einziger großer wimmelnder, lärmender Ameisenhaufen.
„Willkommen im überhaupt größten, je in Ägypten gebauten
Tempel. Das fast dreihundertneunzigtausend Quadratmeter große
Haus der Millionen Jahre
von Pharao Amenophis dem Dritten erwartet dich!“ ...
Vorsicht! Henry wacht hier,
aber er tut nix solange Raphael in der Nähe ist. Der sitzt gerade
nebenan im Büro und macht seinen Schreibkram, während seine
Jungs ein Päuschen machen